Neulich brachte Hannes Tschürtz wieder mal ein Wort zum Sonntag auf seinem Blog – Pop: Kultur oder Industrie?
Darin wird einmal mehr, aber auf treffende Weise der Graben zwischen der kulturschaffenden Musikelite und der, dem schnöden Mammon und verlockenden Marketingmaschinerie der Musikindustrie hörigen Unterhaltungsfraktion thematisiert. Ein schönes Thema, welches immer wieder zu sehr kontroversen Standpunkten führt (und zu unzähligen Splitterfragen, wie Tschürtz feststellt). Zu Recht, sichern doch die beiden vermeintlichen Gegenpole Kultur und Massenunterhaltung den gesamtkulturellen Fortschritt der Gesellschaft – aber: so gegenteilig einem beide Pole vorkommen mögen, so funktionieren sie doch nach den gleichen Prinzipien.

Das kulturelle Kapital jedes Individuums setzt sich aus dem Wissen um die – meist im Mind-Set seiner Peers anerkannten – Kultur- und Unterhaltungsgüter zusammen. Kann ich in meinem Freundeskreis mit dem neuesten Klatsch und Tratsch von Robbie Williams aufwarten, habe ich einen Informationsvorsprung. Detto, wenn ich in der Staatsoper als erster die neuen Inszenierungen besuche oder auf FM4 zum Beispiel die neueste Nummer einer Band höre, die sonst noch keiner kennt. Das alles gibt mir in gewissem Maße einen kulturellen Vorsprung gegenüber meinen Mitmenschen. Eine besondere Stellung nimmt hier natürlich der Musikkritiker ein, der per Definition nicht mit dem Mainstream schwimmen kann. Er hält die Flagge des guten Geschmacks weit oben und bringt uns die Dinge, von denen wir im Alltag sonst nicht viel mit bekommen. Und genau das ist sein Job: nicht das den Leuten näherzubringen, dass sowieso schon alle kennen und sondern das Neue, das Unbekannte.

Populärkultur funktioniert nach genau diesem Phänomen: zwei Pole, die sich gegenseitig bedingen. Wenn die Oma und der Opa (und ich gelegentlich) sich an einem Samstagabend den Musikantenstadl anschauen, bereichern sie dadurch ihr kulturelles Kapital. Sie lassen sich berieseln von der heilen Schlagerwelt, sperren die Sorgen aus, wenn auch nur für die gut 2 Stunden Sendezeit. Und genau das ist das Erfolgserlebnis der leichten Popmusik: er erleichtert uns den Alltag (und ja, Schlager zählt durchaus zur populären Musik, besonder hierzulande). Er erzählt uns nicht, wie schlecht die Welt heute wieder ist, dass das und das schief läuft, etc. Pop lässt in gewissem Maße den Eskapismus des einfachen Mannes zu: er entflieht aus seiner Alltagswelt, vergisst den Job, der ihm ohnehin nichts bedeutet, die privaten Probleme, die ihn plagen. Er schaltet ab.

Und genau dasselbe Phänomen bringen die hochkulturellen Künstler zu Tage: eine Form des Eskapismus. Nur, dass es sich hier bei der Zielgruppe meist um eine Nische handelt. Die zivilisationsdepressive geistige Elite die ihrem eigentlich guten Leben entkommen möchte und sich daher in zum Beispiel düstere Melodien und Texte voller tragischer, zutiefst menschlicher Schicksale flüchten. Oder der Opernfan, der sich aufgrund der Komplexität dieser musikalischen Darbietungsform ein hohes kulturelles Kapital in diesem Bereich aufbauen muss und sich intensiv damit beschäftigen muss.

Mit Popmusik muss ich mich nicht zwangsläufig intensiv beschäftigen. Ich kann mich berieseln lassen, kurz mal aussteigen. Bei komplexeren Musikformen ist dies nicht so einfach, ich muss mich mit der Musik, mit den Künstlern und Interpreten beschäftigen. Zugegeben, vom Standpunkt des Künstlers her gesehen ist es natürlich schmeichelhaft, wenn die Leute sich mit einem beschäftigen – vom Standpunkt des Konsumenten bedeutet das Arbeit. Arbeit, die er in diesem Fall gerne macht, weil er sich mit dem Künstler identifizieren kann – was treibt ihn an, wie ist sein Werdegang, wie war er in der Lage, solche Werke zu schaffen? Alles Fragen, die Recherche benötigen – und einen Hauch Philosophie.

Natürlich kann man auch im hochkommerziellen Segment der Popmusik derartige Fragen nach recherchieren und für sich beantworten. Dieses Vorgehen nennt man Fan-Künstler-Bindung – und die herrscht auf der einen, wie auch auf der anderen Seite vor. Genauso wie viele andere Gemeinsamkeiten auch. Das Primat für jegliche Form von Musik lautet aber schlicht und einfach: Unterhalte mich!

So leisten beide Pole – die unabhängigen, der Romantik nachhängenden Künstler, die alles aus einem Antrieb schaffen wollen und sie niemals für ihre Sache verkaufen würden, gleich wie die hochkommerziellen Sell-Outs, die danach streben, mit ihrer Musik möglichst viel Geld zu scheffeln – bei aller gegenseitigen Kritik und Diskussion doch einen unschätzbaren Beitrag zu unsere gesamtkulturellen Entwicklung: Kultur und Unterhaltung – wir sind die Guten!

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