Zugegeben, wenn man der aktuellen Diskussion in den heimischen Medien folgt, liegt beim staatlichen Rundfunk mehr als alles im Argen.

Was zum Teil sicher auch stimmt.

Gegen die Eigenproduktionen des ORF in den letzten Jahren (man denke voll Fremdschämen an Quotenhoffnung „Mitten im Achten“), floriert der türkische Soap-Markt direkt. Von Bulgarien über Griechenland, bis in den Kosovo werden die Familiendramen anscheinend exportiert. Wird sicher bei uns auch noch aufschlagen, schließlich will die Zielgruppe der Migranten und -innen auch entsprechend erschlossen werden – wenn auch nicht unbedingt von jedem Politiker ein Entgegenkommen in diese Richtung gern gesehen wird – die schauen dann wohl eher auf die Entwicklung in Ungarn.

Und zum Teil sicher nicht stimmt.

Gut, die Änderung des Namens und Logos werden jetzt nicht die gravierenden Konsequenzen haben, sind aber ein Schritt in die richtige Richtung. Schließlich soll das Öffentlich-Rechtliche hierzulande nicht dasselbe Schicksal ereilen, wie gegen Jahresende im nördlichen Nachbarstaat. Oder doch? Arbeitet ein öffentlich-rechtlicher Sender, der zunehmend wie ein Privater agiert, am Thema seines Auftrags vorbei? Sollte anstatt mit Docu-Soaps und Casting-Shows als Eigenproduktionen in direkter Konkurrenz mit den heimischen und deutschen Privaten zu stehen, auf die Kernkompetenzen fokussiert werden?

Sollte er. Angesichts der Tatsache, dass die heimische Suche nach den nächsten Laufsteg-Trullis auf dem sonst marktanteilsmäßíg eher moderat ausgestatteten privaten Puls 4 vom Stand weg Quotenrekorde einfuhr und es – man glaube es kaum – immer noch eine schier endlose Ressource der nachhaltigen Biomasse „Single-Bauer“ gibt, wodurch es „Bauer sucht Frau“ sogar schafft, sich eines Mittwochs mal als Marktführer in der Primetime zu platzieren. Imagemäßig stellen die Privaten den perfekten Nährboden für Boulevard-Berichterstattung, Casting-Formaten aller Art und rührseligen Lugner-Urlaubsreportagen dar. Nennt man dann „Marktführerschaft“. Das Wort kennt man beim ORF auch, das war die Situation bis vor einigen Jahren (und teilweise auch heute noch, wenngleich die Quoten sinken). Und Marktführerschaft wird durch Innovation angreifbar. Innovativ ist es allerdings nicht, den führenden heimischen Society-Moderator zu ködern und unerreichbare Erwartungen durch eine entsprechende Marketingkampagne zu schüren. Society und Boulevard – Privatmedien-Territorium. Eine Spendensendung wie „Licht Ins Dunkel“ wird auf einem Privaten auch eher nicht stattfinden. Das ist angestammtes Territorium des Öffentlich-Rechtlichen. Wobei Unterhaltung durchaus im ORF stattfinden soll und kann. Die „Seitenblicke“ auf ORF 2 sind immer noch Quotenbringer, vom Schifahren und dem Opernball ganz zu schweigen (die Topquoten 2009 im Überblick). Unterhaltung muss also nicht heißen, sich automatisch in die Niederungen des Boulevards zu begeben. Sendungen wie „Wir sind Kaiser“ oder die gesamte Donnerstag-Nacht-Schiene beweisen, dass Unterhaltung auch anders funktionieren kann, als der Jugend beim samstäglichen Komasaufen zuzusehen (was zugegebenermaßen sehr unterhaltsam ist und den sozialpornografischen Voyeur in Einem befriedigt, aber wie schon gesagt, besser zu den Privaten passt).

Neue Medien – auch ein Thema, bei dem der ORF zwar tapfer, aber auch etwas Strategielos agiert. Während 2007 noch eine Klage gegen Youtube geprüft wurde (sowas kennt man ja sonst nur von der schamlosen Musikindustrie), die Offensive des ZDF mit eigenem Kanal zur Bundestagswahl (Juli 2009) von Pius Strobl noch damit kommentiert wird, dass der ORF vom jungen Publikum ausreichend gesehen werde, hat man 3 Monate später mit Youtube-Verbreitung von Content kein so großes Problem mehr. Zugegeben, die TV-Thek des ORF ist eine Spitzensache, der Großteil des Publikums bewegt sich aber nun mal auf Plattformen wie Youtube, oder Facebook. Hier muss man dem ORF zu Gute halten, dass er innerhalb des letzten Jahres viel getan hat und hoffentlich noch tun wird. Information als Kernkompetenz – das steht außer Frage. Aber auch die Versorgung des Publikums mit Information über sämtliche verfügbaren Kanäle muss zur Strategie zählen.

Information – die Kernkompetenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überhaupt. Die Menschen durch neutrale Berichterstattung über gründlich recherchierte, relevante Ereignisse zu informieren (so ähnlich sagens die journalistischen Grundsätze – der Ehrenkodex der österr. Presse verlangt da noch viel mehr). Da muss man sagen, ist der ORF zumindest bemüht, keine politische Einflussnahme aufkommen zu lassen (und verteidigt zum Glück mit allen Mitteln die Pressefreiheit, wie beim Eiertanz um „Am Schauplatz“ -Sager oder Nicht-Sager.). Nicht ganz so klar wird die Geschichte bei der generellen Zusammensetzung der ORF-Granden bzw. des Publikumsrates (der skurrilerweise per Fernkopierer vulgo Fax gewählt wird). Die unabhängige Berichterstattung ist durch Nähe zur Politik immer gefährdet – Berufsrisiko sozusagen. Wenn die Möglichkeit besteht, die Führung eines Unternehmens nach Parteibuch zu bestimmen, selbst wenn die Fähigkeiten stimmen, ist Vorsicht angebracht. Im Gegensatz zu den privaten wird der öffentlich-rechtliche immer in einem gewissen politischen Spannungsfeld stehen – wer beißt schon gern die Hand, die einen füttert. Dem Journalismus muss dies aber zugestanden werden. Die Entwicklung in Ungarn – und noch viel Arger in Staaten im unteren Ranking der Pressefreiheit zeigt – wohin das sonst führen kann.

Der ORF ist tot, es lebe der ORF – geben wird es ihn immer und wenn ihm durch die Rahmenbedingungen einerseits und durch eine entsprechende Unternehmenskultur andererseits die Möglichkeiten eingeräumt werden, sich abseits von billigen Quotenforderungen (weil Werbegelder) zu positionieren, wohl stärker denn je. Und vielleicht läuft ja doch bei uns bald im Sinn der kulturellen Vielfalt die eine oder andere Folge von „Yaprak Dökümü„…

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